Grelles Pink trifft schwarzes Grau – Kapitel 2

Kapitel 2: Nervosität

Psychosomatik

Agnes fühlte sich krank. Eigentlich fühlte sie sich immer
krank, wenn sie nervös war. Aber heute war es ganz besonders schlimm. Die neue Schule war kleiner als ihre letzte, alle kannten sich und keiner würde sie mögen …

Eine ältere Frau, die Haare wasserstoffblond gefärbt, mit blauem Lidschatten und knallrotem Lippenstift, lächelte ihr zu. Agnes nickte zurück und kam sich ein bisschen vor wie eine Puppe, die nur ihren Kopf bewegen konnte. Ihre Hände waren an ihrer Leinenhose festgenäht und in ihr Gesicht hatte jemand „blöd“ geschrieben, der das ewige Grinsen der Puppe nicht mehr ertragen konnte.

Agnes hatte sich fest vorgenommen, offen zu sein, und freundlich „Hallo!“ zu sagen, wenn ihr jemand entgegenkam. Und jetzt war sie
froh, dass sie nicht rückwärts umfiel, wenn jemand sie ansah.

Der Klassenlehrer

Der Schulhof kam ihr viel größer vor als letzte Woche bei
ihrer Anmeldung. Es waren sicher noch zwei Kilometer. Oder drei.

Ihr Blick verschwamm etwas, und ihr Herz drückte unangenehm
fest auf ihren Hals. So blieben ihr wortwörtlich die Worte im Hals stecken, als ihr Klassenlehrer, den sie bereits letzte Woche kennengelernt hatte, ihr die Hand hinhielt. Agnes nickte wieder. Etwas anderes blieb ihr auch nicht.

„Du wirst dich hier gut einleben. Es gibt ein paar schwierige Personen, aber der Großteil ist ziemlich nett,“ sagte er und zwinkerte ihr zu.„Jeder ist am Anfang nervös, glaub mir, Agnes …“

Sie seufzte. Eigentlich wusste sie, dass er recht hatte,
aber ihre Hände, die langsam taub wurden, wussten das nicht.

Schulanfang

Agnes trottete hinter ihm ins Schulgebäude, das grau, alt
und hässlich war. An den Wänden hingen alte Kunstbilder, deren vergilbte Ecken sich nach außen wellten. Die Farben, einst sicher leuchtend und prachtvoll, waren mittlerweile nur noch blass und langweilig.

Sie sah sich unruhig um. Überall strömten Menschen in die
Klassenzimmer, wie ein wuselnder Ameisenhaufen, in den gerade jemand aus Spaß einen Ast gesteckt hatte, wühlten sich alle durch die überfüllten Gänge.

Ihr Klassenlehrer blickte sie an und versuchte ihr weiter Mut zu machen. Was er dabei vergaß war, dass er vorwärts lief und nicht allein war. Erst die Kollision mit einer zierlichen, schwarzgerüschten Persönlichkeit
erinnerte ihn daran. Sie ging zu Boden und blieb dort zunächst sitzen.

Noemi sah zu ihrem Lieblings-Philosophielehrer hoch. Er hatte sie nicht gerade wirklich umgelaufen. Doch, hatte er. Er reichte ihr peinlich berührt die Hand.

„Jetzt sind wir aber quitt, Herr Breitner,“ grinste sie und hakte sich bei Kai ein. „Wir sehen uns!“


Das Team von gorizi.de bedankt sich ganz herzlich bei Honigfee für die schöne Geschichte.

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