1.
Kaum zu glauben, dass es schon fast ein Jahr her ist. Die Geschichte mit Manuela, meine ich. Ich habe das Gefühl, es sei erst gestern gewesen. Wahrscheinlich, weil das Thema so aktuell ist wie damals.
Ich bin übrigens Mia von Wollin, Schülerin dieses Stifts, und für unsere Lehrerin empfand ich das Gleiche wie Lela bzw. Manuela. Dass das
entsetzlich und verdorben sei, war mir neu und ließ in mir eine große
Solidarität mit Lela entstehen. Wir würden uns noch brauchen.
Doch der Reihe nach.
Die Familie derer von Mengsberg hat, da bin ich mir sicher, großen Anteil daran, dass Frau Oberin und Frl. von Bernburg sich geeinigt haben. Edelgard hat mir erzählt, dass sie ihrem Vater einen Brief herausgeschmuggelt habe und er sich daraufhin mit Frau Oberin in Verbindung gesetzt hat. Mengsbergs sind als großzügige Gönner des Stifts bekannt, ebenso die Prinzessin, die immer besonders nett zu Frl. von Bernburg war, und die wohl auch eine Vertraute von Edelgards Mutter ist.
So kam denn alles wieder ins Lot. Eigentlich.
2.
Es war im Dezember, ein gutes halbes Jahr nach den Geschehnissen um Frau Oberins Geburtstag. Wir zwei, Lela und ich, saßen etwas abseits und strickten Socken für unsere Lieben zuhause, d.h. ich für die meinen, Lela strickte für die Kinder ihrer Tante.
Ich sah sie zuerst kommen. Rasch trat sie auf uns zu, und es traf mich einmal mehr wie ein Schlag, in diese schönen, dunklen Augen zu sehen, sie so direkt vor mir zu haben.
Sie wollte nicht zu mir.
„Mia, Frl. von Gärschner zeigt gerade Oda, wie man Fersen glatt strickt. Geh und lass Dir das einmal zeigen.“
Das war ein Befehl, und ich trollte mich. Als ich mich noch mal kurz nach ihnen umdrehte, sah ich Frl. von Bernburg, die leise zu Manuela sprach – ein bisschen Wangenröte stand ihr ausgezeichnet, aber war sie etwa nervös? – und Manuela, die sie anstarrte wie eine Erscheinung.
Als ich von Frl. von Gärschner zurückkam, saß Lela immer noch da und strickte.
Ich fragte, was sie denn gewollt habe.
„Das wird schön. Ich bleibe Weihnachten hier. Mein Vater ist irgendwo in Algerien und bei meinen Tanten grassiert Scharlach.“
Sie sagte das zu mir, schien aber in Gedanken woanders zu sein.
Frl. von Bernburg stand noch bei Oda, Mariechen und Frl. von Gärschner. Sie wandte den Kopf zu uns und einen Augenblick lang senkten sich ihre Augen in die Lelas. Schnell sprach sie wieder zu Mariechen.
Lela sah immer noch in ihre Richtung. Sie strahlte einfach nur.
An dem Tag, diesem 3. Adventssonntag, kam mir zum ersten Mal der unglaubliche Gedanke, dass Frl.von Bernburg und Manuela etwas verband, das uns anderen Bernburgverehrerinnen – und es gab uns immer noch, allen Predigten von Frau Oberin zum Trotz – verwehrt blieb. Konnte es Liebe sein?
3.
„Ich lasse Dich ungern allein hier in dieser Kaserne, noch kannst Du mitkommen.“
„Glaub mir, das ist gut so. Ich fühle mich hier wie ein Gespenst, das zuerst den Ort hasst, an dem es spuken muss, aber sich dort irgendwann heimisch fühlt und woanders gar nicht klarkäme. Nun geh schon, Mialein. Viele Grüße an deine Familie und schöne Weihnachten!“
Da stand sie, Schönheit, die sie war. Ich beneidete sie, meine Freundin, um das, was sie so glücklich zu machen schien. Was geht da vor, dachte ich mir.
Was dann vorging, weiß ich nur aus zweiter Hand. Wahrscheinlich wusste Manuela zu dem Zeitpunkt schon, dass Frl. von Bernburg ebenfalls im
Stift blieb. Es blieben immer ein paar Mädchen während der Ferien, so dass auch eine Notbesetzung an Stiftsdamen da war.
Im Laufe des späteren Heiligen Abends wurde Anne, der Bettnachbarin von Odas kleiner Schwester Lilli, schlecht. Sie weckte Johanna, die wohl rasch aufstand und sich kümmerte. Da Anne abgeduscht werden sollte,
ging Johanna mit ihr zu den Waschräumen. Und kam dabei an der Bibliothek vorbei. Neben der Tür gibt es ein Aus- und Rückgabefenster.
Oda hat es mir so erzählt, und sie weiß es von Anne:
„Es brannte Licht am Lesetisch, und Johanna und Anne schauten durchs Fenster. Da standen Manuela und Frl. von Bernburg, und sie und Manuela umarmten sich. Frl. von Bernburg sagte etwas und dann haben sie sich geküsst. Dann zog Johanna Anne weg.“
4.
Ich kam an Neujahr zurück ins Stift und war noch am selben Tag im Bilde; Oda ließ sich genüsslich darüber aus. Mir blieb das Herz stehen.
Nicht nur vor Entsetzen, dass dies Geschehen Mitwisser hatte, sondern weil ich es einfach nicht fassen konnte.
Lela beizustehen schien mir dann aber angebrachter, als darüber zu grübeln, warum eigentlich Manuela solche Dinge erlebte und nicht ich! Wenn es denn überhaupt so gewesen war.
Ich musste mit Lela sprechen – und mit Johanna.
„Was haben Sie gesehen?“
„Gar nichts! Nichts, und ich sag auch nichts zu niemandem.“
Sie sah auf den Boden und murmelte: „Die Liebe ist eine Himmelsmacht…
Es wird schlimm enden, auch ohne dass ich mich einmische. Ich muss jetzt in die Küche.“
Es stimmte also.
„Manuela, ihr seid gesehen worden.“
Sie sah mich an und fragte, wer wen gesehen hätte.
Ich erzählte ihr, was ich von Oda wusste.
Sie fing an zu weinen und meinte, dass Frl. von Bernburg bestimmt sofort kündigen würde, wenn das herauskäme. Wahrscheinlich muss sie dann nicht extra kündigen, dachte ich.
„Was ist eigentlich genau passiert? Wenn wir uns überlegen wollen, wie ihr aus der Geschichte rauskommt, musst Du dich an alles erinnern.“
Sie hätte seit ein paar Wochen den Plan gehabt, mit Frl. von Bernburg zu reden, erzählte sie. So ging sie also am Weihnachtsabend in die Bibliothek, wohl wissend, dass Frl. von Bernburg dort oft noch spät arbeitete.
„Ich wollte Sie nicht stören, ich wollte nur fragen, ob alles wieder gut ist und sie mir nicht mehr böse sind, ich…“
Bernburg wandte sich zu ihr und sagte leise: „ Manuela, was denkst Du? Bin ich dir noch böse?“
Sie erklärte Lela, dass sie nie böse gewesen war und dass es ihr heute sehr leid täte, sie in jenen Tagen so wenig unterstützt zu haben.
„Ich bin so froh… danke…! Ich… ich liebe Sie auch immer noch, aber keine Angst, das behalte ich jetzt für mich!“
Da atmete Bernburg tief durch, stand von ihrem Stuhl auf und trat dicht vor Lela hin:
„Manuela, es gibt Dinge, die weiß man. Man braucht sie nicht auszusprechen, um zu wissen, dass sie so sind. Verstehst Du?!“
Sie standen dicht voreinander, und schließlich nahm Frl. von Bernburg Manuela sanft in die Arme. Manuela legte den Kopf an Frl. von Bernburgs Schulter.
„Liebling..“ Manuela hob den Kopf, und dann küssten sie sich.
„Aber es war nur ein leichter Kuss. Und ich war so glücklich, dass ich glaubte, ich müsste gleich tot umfallen. Was auch immer in meinem Leben passieren wird, ich werde immer daran denken können. An das
vollkommene Glück. Mehr geht nicht!!“
Das ist nun wiederum ein halbes Jahr her. Bis jetzt ist alles ruhig, Johanna sagt nichts, Oda, Lilli und Anne haben geschworen, den Mund zu halten. Lela überlegt hin und her, ob sie es ihr sagen soll, aber sie hat Angst, dass Frl. von Bernburg dann das Stift verlassen würde…
Fortsetzung folgt!
Diese Fanficition wurde eingereicht von MiavonWollin.