Es war ein zauberhafter Frühlingsmorgen, als die Kutsche die Tore des alten Schlosses durchquerte. Die Luft war kühl und keine Wolke trübte
das in immer satterem Blau erstrahlende Himmelszelt. An den kahlen Ästen bildeten sich bereits Knospen und unter der Schneedecke lugten vereinzelt Schneeglöckchen und Krokusse hervor.
Für all die Magie dieses Morgens hatte Mathilda von Remscheidt wenig übrig. Schließlich sollte sie, auf Wunsch ihres verstorbenen Vaters, von nun an ein Internat für adelige junge Mädchen besuchen. Die Vorstellung, fern von ihren Freunden und ihrer Familie, ihr Dasein fristen zu müssen, behagte ihr nicht. Doch dem Befehl des Vaters hatte eine junge Dame
Folge zu leisten. Die Kutsche hielt vor dem Gemäuer, welches Mathildas neues Zuhause werden sollte. Alles an diesem Haus war grau. Die Mauern, die Tür, ja sogar die Fensterscheiben schienen das Licht der Sonne aufzusaugen und nur einen Schatten der goldenen Strahlen zurückzuwerfen.
Mathilde stieg aus der Kutsche und folgte Fräulein von Racket die Treppe hinauf in das Gebäude. Das Fräulein hatte das Mädchen von zu Hause abgeholt, da Mathildas Familie verhindert war. So musste sie sie bereits
vor einigen Tagen von ihren Liebsten verabschieden. Ab jetzt würde sich ihr Leben vollkommen verändern. Ihre Kindheit war hiermit beendet und nun würde sie all die Pflichten einer folgsamen Ehefrau zu erfüllen lernen. Das wusste Mathilda. Und sie bedauerte es zutiefst.
Die Eingangshalle bot einen etwas glanzvolleren Anblick als die Außenfassade vermuten ließ. Jedoch war auch hier alles schlicht gehalten. Den Grund für all die Kargheit hatte Fräulein von Racket ihr während der Anreise erklärt. „Wir sind nicht auf der Erde um glücklich zu sein und zu genießen, sondern um unsere Pflicht zu tun“, hatte sie gesagt. Jetzt stand sie ungeduldig auf der ersten Stufe einer grauen Treppe links von Mathilda, die sich immer noch nachdenklich in der Eingangsgalle umschaute und trieb sie an:“ Na komm schon! Wir haben nicht ewig
Zeit!“ Das Mädchen schreckte auf und eilte dem Fräulein hinterher.
Einige Stockwerke höher lag der Schlafsaal. Man hatte ihr Gepäck bereits hinaufgetragen und Mathilda wurde angewiesen, ihre Kleidung abzugeben. Stattdessen wies man ihr ein Bündel Wäsche zu, welches unter anderem aus zwei weißen Hemden, einem grauen Kittel und einigen Schürzen enthielt.
Anschließend durfte sie ihre restlichen Sachen in einem Fach im Schlafsaal verstauen.
Nachdem sie sich umgezogen hatte, setzte sie sich auf ihr Bett und ließ die die letzte Stunde noch einmal Revue passieren. Sie hatte noch nicht ganz realisiert, dass sie jetzt wirklich hier wohnen sollte. Das Geräusch
der sich öffnenden Tür, riss sie aus ihren Gedanken. Auf der Schwelle stand eines der anderen Mädchen. Sie hatte seidig glänzende blonde Haare, einen kirschroten Mund und schaute Mathilda mit großen dunklen Rehaugen an. Mathilda war überwältigt von der Schönheit des Mädchens. Sie selbst hatte dunkle, struppige, nur schwer zu bändigende Locken, eher schmale Lippen und grüne Augen. Als sie die Fremde so da stehen sah, wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie vergaß beinahe zu atmen. Der Anderen schien es ähnlich zu gehen, denn sie schnappte plötzlich nach Luft. Mathilda fand ihre Stimme wieder und sagte flüsterte:“ Hallo. Ich bin Mathilda. Mathilda von Remscheidt. Und wer bist du?“ „Edelgard. Edelgard von Kleist.“ Hauchte das Mädchen. Sie beide waren in diesem Moment von einem Gefühl überwältigt, welches ihnen bisher unbekannt
war. Sie spürten eine tiefe Vertautheit zueinander, die sie wie eine Schnur
verband.
„Von Kleist! Was haben Sie hier zu suchen?“ die schrille Stimme des Fräulein von Racket ließ die beiden Mädchen aufschrecken. Edelgard
knickste und sagte: „Verzeihen Sie, Fräulein von Racket. Ich wollte nur meinen Mantel holen. Es ist kalt draußen.“ „Na worauf warten Sie dann noch? Die Fische für das Mahl zur Pensionierung der Direktorin bereiten sich nicht von selbst zu. Na los! Und von Remscheidt? Sie können sich ebenso nützlich machen. Helfen Sie von Kleist beim Fangen der Fische!“ Mit diesen Worten kehrte Fräulein von Racket den Mädchen den Rücken zu und ging schnellen Schrittes den Gang hinunter.
„Wo sind denn die anderen Mädchen,“ fragte Mathilda. „Sie sind zu einem Fest am Hofe geladen. Ich muss hierbleiben, weil ich dabei
erwischt wurde, wie ich über die Direktorin spottete. Der Prinzessin erklären sie nun sicher, ich sei krank. Aber nun bin ich froh, nicht mitgefahren zu sein.“ „Warum?“ wunderte sich Mathilda. „Na weil ich dich nun vor allen anderen kennenlernen konnte,“ sagte Edelgard und zwinkerte. „Was ist? Kommst du mit runter in den Park zum Angeln?“ Mathilda nickte. Sie zogen sich schnell ihre Mäntel an und gingen hinunter.
Sie setzten sich ganz ans Ende des schmalen Steges, warfen die Angeln aus und schauten über die glitzernde Fläche des Sees. Um sie herum
war nichts zu hören außer dem Zwitschern der Vögel. Zum ersten Mal an diesem Tag spürte Mathilda ein wenig Zufriedenheit. Sie schaute zu Edelgard hinüber und musterte ihr ebenmäßiges Gesicht. Alles an ihr schien verzaubert. Edelgard erwiderte ihren Blick und Mathilda verlor sich in den Tiefen ihrer Augen. Auf einmal spürte sie, wie das Mädchen ihre Hand berührte. Ganz sachte. Die Berührung ließ es Mathilda ganz wohlig warm werden. Gleichzeitig begann ihr Herz wie wild zu pochen. Sie wollte Edelgard nah sein. Sie wollte sie in den Arm nehmen. Sie wollte sie… küssen! Nein! So etwas durfte sie nicht denken! So etwas gehörte sich nicht. Für niemanden. Schon gar nicht für ein Mädchen ihrer Abstammung. Sie wich ein wenig zurück. Edelgard schien das Zögern der Neuen zu bemerken. Sie sagte leise: „Ich weiß, was du jetzt denkst. Aber glaube mir: Es ist nicht wichtig, was die anderen dir befehlen. Es ist nur wichtig, dass du auf dein Herz hörst und ihm vertraust. Denn was dein Herz dir sagt, ist das einzig Richtige für dich.“ Das wohlige Gefühl breitete sich erneut in Mathilda aus. Sie fühlte sich verstanden. Sie fühlte sich geborgen. All die Zweifel fielen von ihr ab.
Sollten die anderen doch machen, was sie wollten. Sie wollte mit Edelgard zusammen sein. Sie liebte sie und sie WOLLTE sie lieben.
So eine starke Zuneigung hatte sie noch nie so schnell für einen
Menschen empfunden. Es gab zu Hause zwar so einige junge Herren, die ihr den Hof machten. Zu dem einen oder anderen hatte sie sicher auch ein wenig mehr als Sympathie empfunden. Aber bei keinem fühlte sie sich so wie bei diesem Mädchen.
Bei Edelgard wusste sie, dass sie angekommen war. Sie fühlte sich zu Hause.
Mathilda lächelte und sagte: „Ich weiß, es klingt verrückt… aber in der kurzen Zeit, die wir uns nun kennen… ich weiß nicht wie ich es ausdrücken soll…“
Edelgard schaute erwartungsvoll und fragte: “Was? Was möchtest du mir sagen Mathilda?“ Mathilda stockte. Sie konnte es einfach nicht sagen. Am Ende würde Edelgard sie noch auslachen. Am Ende hat sie das alles nur missverstanden. Sie schaltete einen Gang zurück und sagte vorsichtig: „ Du hast wunderschöne Augen, Edelgard von Kleist.“ „Danke. Aber das wolltest du mir nicht sagen hab ich recht? Komm! Ich verspreche dir, dass du nichts missverstanden hast.“ Mathilda
nahm allen Mut zusammen und dachte sich: „Jetzt oder nie!“ und küsste Edelgard auf den Mund. Ganz vorsichtig und sehr kurz. Dann schaute sie Edelgard an und fragte: „Und? War es nun ein Missverständnis?“ Als Antwort legte die blonde Schönheit beide Arme um sie und gab ihr einen langen süßen Kuss, den Mathilda sofort erwiederte. Sie wusste: Die Zeit in diesem Internat würde die schönste und prägenste Zeit ihres Lebens werden.
Diese Fanficition wurde eingereicht von Exponatskatze.