Kapitel 6: Neue Ära
Die Nerven
„Mama.. in unserem Wohnzimmer hängt ein Bär,“ bemerkte Agnes beiläufig, als sie am nächsten Morgen ihre Bücher zusammensuchte.
„Ja, ja…“
Agnes stutzte und suchte weiter. Sie holte tief Luft. „Ich sagte, ein Bär hängt in unserem Wohnzimmer…“
Agnes Mutter durchsuchte weiter mechanisch ihren Kalender, in dem penibel geordnet gelbe und grüne Post-Its ihre Termine sortierten.
Agnes überlegte. „Mama, ich werde durchbrennen, und ich hab dafür dein Konto leergeräumt…“
„Ja, ja…“ Sie schlug ihr Philosophiebuch auf den Tisch. „Verdammt, was ist los mit dir???“
Frau Wendt brach in Tränen aus und schlug die Hände vor ihr Gesicht.
„Es ist einfach stressig, Agnes, und ich weiß nicht mehr wie es weitergehen soll… du weißt, der Bibelkreis hat Geldprobleme, und seit das mit dem Alkohol… Alkoholge… Alkoholgeständnis des Pfarrers raus ist, muss ich Stellenausschreibungen koordinieren und … und…“
Agnes seufzte. Sie streichelte ihrer Mutter über den Rücken, als könne sie diese Probleme wegstreichen. „Mama, was ist passiert? Ich weiß, ich habs schon gesagt… aber, der Bär, Wohnzimmer, hängen…?“
Herberge
„Er ist vom ehemaligen Pfarrer. Er war gestern hier. Sein Entzug ist vorbei, und er wusste nicht wohin… er hat doch keine Wohnung mehr, und da hab ich ihm…“ Ein lautes Schluchzen unterbrach den Redefluss abrupt. Agnes suchte nach den richtigen Worten, aber die lagen irgendwo zwischen „Geschieht dem alten Sack gerade recht“ und „Lass ihn doch verrecken“ (soetwas würde sie niemals, unter keinen Umständen wirklich sagen, nur denken).
„Na ja, ist doch nett, dass du mit ihm eine Wohnung gesucht hast, mitten in der Nacht…“ Während sie die Wörter ausspuckte, wuchs ihre Abneigung gegen den unangenehmen, korpulenten Mann mit der Vorliebe für Modelleisenbahnen und English Breakfast. Und es kam ihr ein übler Gedanke, den sie nicht zu Ende führte, weil besagter Pfarrer ihr diese Anstrengung abnahm.
„Und weil wir nichts gefunden haben, hat sie mich hier aufgenommen. Wofür ich ihr nochmals sehr, sehr danken möchte,“ fügte er demütig hinzu und betrat in einem karierten Schlafanzug die Küche. „Vielen Dank, Frau Wendt.“
Gut gelaufen
„… ach, lecken Sie mich doch! Ja, meinetwegen auch doppelt! … SELBER!!!“ Cinderella knallte den Hörer an die Scheibe der Telefonzelle. Er wippte auf und ab und schwang dann hin und her. Das Klacken, wenn er gegen das Telefon kam, war deutlich zu hören in der betretenen Stille zwischen Noemi und ihrer Scheinmutter.
„Du… hast meinen Lehrer angeschrieen.“ Noemi war so verblüfft, dass sie noch nicht einmal sauer werden wollte. „Du hast gesagt, er kann dich mal…“
Cinderella verschränkte die Arme vor der Brust. „Ist doch ganz gut gelaufen, bis auf den Schluss…“
Das Team von gorizi.de bedankt sich ganz herzlich bei Honigfee für die schöne Geschichte.
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